Gerechte Sprache – sprachliche Gleichstellung

Viele Institutionen und Publikationen möchten eine gerechte Sprache verwenden oder durch Sprache zu sozialer Gerechtigkeit beitragen. Dabei gibt es oft Uneinigkeit und Verunsicherung darüber, was sprachliche Gleichstellung eigentlich bedeutet. Geht es dabei lediglich um Frauen und Männer oder auch um weitere geschlechtliche Selbstverständnisse? Und wie lassen sich neben Gender andere Unterschiede berücksichtigen, die ebenfalls Diskriminierung oder Anerkennung bewirken können?

Mich begleitet das Interesse an feministischer Sprachkritik und sprachlicher Gleichstellung seit dem Studium, wo ich mich mit Geschlechterstudien und -theorien in Literaturwissenschaft und Philosophie oder feministischer historischer Forschung beschäftigte. Eine gute Grundlage, um über Zusammenhänge zwischen Geschlecht, Sprache, Bedeutung, Machtstrukturen und Wirklichkeit nachzudenken.

Als Lektorin bringe ich meine Fachkenntnisse bei der Arbeit an wissenschaftlichen Titeln der Geschlechterforschung ein – z. B. lektoriere ich regelmäßig für den Barbara Budrich Verlag und das Institut für Queer Theory. Sie spielen aber auch bei der redaktionellen Arbeit an Texten und Publikationen für ein breites Spektrum von Zielgruppen und Themen – von Stiftungen bis Gemeinschaftsgärten – eine Rolle, da Gleichstellung eine Querschnittsaufgabe ist.

Seit 2012 berate ich zu geschlechtergerechtem und gleichstellungssensiblem Sprachgebrauch, informiere über aktuelle Diskussionen und Kontroversen, schlage gerechtere sprachliche Lösungen für Publikationen und Websites vor, habe Workshops und Mitarbeitenden-Fortbildungen geleitet.

Für das Digitale Deutsche Frauenarchiv habe ich 2018 einen Essay verfasst, der die historischen Hintergründe feministischer Sprachkritik beleuchtet.

Beim geschlechtergerechten Formulieren ist mir wichtig, Geschlecht als Merkmal zu verstehen, das sich mit anderen Merkmalen überkreuzt und immer mit Machtdifferenzen sowie Ein- und Ausschlussmechanismen einhergeht. Ausschluss von Teilhabe findet aber nicht allein entlang des Merkmals Geschlecht statt. Ein Begriff wie „Kopftuchfrauen“ kann z. B. je nach Kontext frauendiskriminierend sein und auch rassistisch ausgrenzen. Gerechtigkeit bedeutet außerdem, dass alle Geschlechter, auch Personen, die sich nicht in die Norm der Zweigeschlechtlichkeit einordnen können oder wollen, vorkommen, gemeint sind und sich angesprochen fühlen. Gleichstellungssensibler Sprachgebrauch berücksichtigt vielfältige, miteinander verschränkte Differenzen und beugt so sprachlicher Diskriminierung vor.

Warum geschlechtergerecht schreiben?

Müssen wir als Institution eigentlich alle unsere Texte „gendern“? Ist das nicht kompliziert, aufgesetzt und unelegant? Und wie wird es gemacht, gibt es dafür Regeln?

Mit solch praktischen Fragen habe ich zu tun, wenn ich für Auftraggebende Texte unter Gleichstellungsaspekten bearbeite. Geschlechtergerechtes Formulieren ist z. B. nötig, wenn ein Projekt öffentliche Zuschüsse erhält oder eine öffentliche Institution Gender Mainstreaming umsetzen will. Geschlechtergerechte Texte können auch Mitarbeitende für sprachliche Gleichbehandlung sensibilisieren oder dazu beitragen, eine Gender-Mainstreaming-Strategie in der Corporate Identity zu verankern.

In Workshops und Diskussionen werden auch politische Fragen gestellt wie: Kann sich Sprachgebrauch überhaupt auf gesellschaftliche Veränderung auswirken? Sind nicht rechtliche oder wirtschaftliche Ungerechtigkeit bedeutsamer? Oder lassen sie sich womöglich gar nicht von sprachlicher Ungleichbehandlung trennen?

Sprachliche Gleichstellung kann verändern, indem Texte :

  • alle, die gemeint sind, explizit nennen und ansprechen,
  • signalisieren, dass alle Geschlechter/Zielgruppen in allen Bereichen des eigenen Tätigkeitsfelds vorkommen und vorkommen sollen,
  • Diskriminierung und Diskriminierungsgefahr abbauen und nicht selbst diskriminieren.

Welche sprachlichen Alternativen gibt es und welche sind zu empfehlen?

Dafür gibt es kein Patentrezept. Um lesbare und korrekte geschlechtergerechte Texte zu schreiben, ist achtsames Formulieren nötig. Stolpersteine gibt es reichlich, und gute Texte brauchen mehr, als fertige Formulierung durch weibliche Bezeichnungen zu ergänzen oder offensichtlich diskriminierende Ausdrucksweisen zu vermeiden.

Vielfältige Umsetzungsvorschläge und auch experimentelle Formulierungen wollen unterschiedlichste Differenzen und Diskriminierungen berücksichtigen. Dazu gehören neben Doppelbezeichnungen und neutralen Formulierungen immer häufiger der Gender_Gap (Unterstrich) und der Asterisk (*Sternchen), die über die Zweigeschlechtlichkeit hinausgehen wollen. Provokativ hat die Entscheidung der Universität Leipzig gewirkt, die in ihrer Grundordnung vom 6. August 2013 ausschließlich weibliche Bezeichnungen verwendet:

„In dieser Ordnung gelten grammatisch feminine Personenbezeichnungen gleichermaßen für Personen männlichen und weiblichen Geschlechts. Männer können die Amts- und Funktionsbezeichnungen dieser Ordnung in grammatisch maskuliner Form führen.“

Auch wenn solche Vorschläge vielleicht nicht so bald in den allgemeinen Sprachgebrauch oder die Duden-Regeln Einzug halten werden, formulieren sie eine kreative Sprachkritik, die sich mit Asymmetrie, Machtverhältnissen und Diskriminierung auseinandersetzt. Sogar die Dudenredaktion scheint kreativen Lösungen nicht abgeneigt zu sein und schreibt in ihrem Newsletter vom März 2017:

„Empfohlen werden können Asterisk und Unterstrich seitens der Dudenredaktion nicht, da sie vom amtlichen Regelwerk nicht abgedeckt sind – wer sich jedoch nicht im amtlichen Kontext bewegt, wird sich mit einer dieser Lösungen vielleicht anfreunden können.“

Die Sprache, die wir verwenden, zeigt vor allem etwas über ihr eigenes Geworden-sein in historischen Gesellschaftsordnungen und Machtverhältnissen. Wie wir sie benutzen, verändern, an eine veränderte Wirklichkeit anpassen, gewünschte Veränderungen formulieren oder vorwegnehmen – all das gestaltet diese Wirklichkeit mit. Insofern ist es von Bedeutung, welche Wörter und Formulierungen wir bevorzugen oder meiden, vor allem in der öffentlichen Kommunikation. Änderungen des hergebrachten Sprachgebrauchs sind für manche Menschen gewöhnungsbedürftig oder provokant. Sie können aber helfen, Kommunikation präziser, wirklichkeitsgerechter, lebendiger und glaubwürdiger zu machen. Und damit auch wirkungsvoller.

Leichte Sprache

Zu meinem Verständnis von Gleichstellung gehört auch, dass Teilhabe durch barrierearme Informationsangebote ermöglicht wird. Leichte Sprache ist dabei ein wichtiger Baustein, damit Menschen, die schwierige Texte nicht so gut verstehen, sich z. B. eine politische Meinung bilden oder über die eigenen Rechte informieren können. Leichte Sprache erweitert die Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Lernschwierigkeiten. Aber auch Menschen, die nicht gut Deutsch sprechen, oder Menschen mit Sehbehinderungen können Texte in Leichter Sprache nutzen.

Seit ca. 15 Jahren setzen sich in Deutschland vor allem Selbsthilfeverbände wie das Netzwerk Leichte Sprache und die Lebenshilfe für die Verbreitung von Leichter Sprache ein. 2011 wurde sie zum offiziellen Teil der Strategie zur barrierefreien Kommunikation im Internet der Bundesregierung und in der „Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz“ verankert.

2014 habe ich für die Bundesgeschäftsstelle der Partei „Die Linke“ ihr Kurzwahlprogramm zur Europawahl in Leichte Sprache übertragen. Das war eine spannende Herausforderung.

Mittlerweile hat auch die Sprachwissenschaft die Leichte Sprache als Thema entdeckt. An der Universität Hildesheim beschäftigt sich die Forschungsstelle Leichte Sprache wissenschaftlich mit ihr. Auf ihrer Website findet man kompetente Antworten auf viele Fragen, die zur Leichten Sprache immer wieder gestellt werden.

 

Weiterlesen

  • Mein Essay zu Geschichte und Entwicklung feministischer Sprachkritik/-innen, Innen und *innen – feministische Sprachkritik“ ist beim Digitalen Deutschen Frauenarchiv, dem interaktiven Fachportal zur Geschichte der Frauenbewegungen in Deutschland,  zu lesen.
  • Auf den Archiv-Seiten des GenderKompetenzZentrums 2003–2010 gibt es Hintergrundinfos, Tipps und Materialien zu Geschlechtergerechtigkeit.
  • Ende 2017 erschien im Dudenverlag ein kleiner, feiner und vor allem sehr brauchbarer Ratgeber zum Thema, den ich sehr empfehlen kann: Gabriele Diewald, Anja Steinhauer: Richtig gendern. Wie Sie angemessen und verständlich schreiben, Berlin (Dudenverlag) 2017. (Dass der Webshop des Verlags allerdings immer noch keine „Autorin“ kennt, sei hier nur als Kuriosität am Rande erwähnt.)
  • Die Website Geschickt Gendern – Das Genderwörterbuch verzeichnet viele Anregungen für alternative Formulierungen in Lexikonform. Ich empfehle sie, obwohl ich die Rede vom „Gendern“ nicht mag, denn sie erweckt den Eindruck, dass Texte im Nachhinein „gegendert“ werden, statt sie gleich geschlechtergerecht zu verfassen.

 

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